Letzens gab es im Rückblick die Meldung, dass im Juni 2023 ein 28-jähriger Mühldorfer mit seinem Hund auf dem Falkenstein tödlich abgestürzt ist. Der Falkenstein ist „nur“ 1.146m hoch. Aber die Höhe eines Berges sagt eben überhaupt nichts aus. Von Adlgass waren die Berge und auch der Falkenstein bei unserem Silvesterausflug sehr schön zu sehen. Nicht, dass ich die Berge hätte bestimmen können; Aber die Peak-Finder-App auf dem iPhone ist ein „must have“. Im Bild ist erkennbar, dass wir beim Falkenstein nicht von der Bergkette im Hintergrund sprechen, sondern von den zwei – eigentlich unscheinbaren – Wänden, wo die zwei weißen Striche hinzeigen. Und dennoch ist es auf diesem vergleichsweise niedrigem Berg passiert. Und es kann passieren. Es passiert aber eher nicht an den schwierigen Passagen. Meistens wird man im vermeintlich einfacheren Gelände nachlässig. Und sehr oft auf dem Rückweg. Ich weiß, wovon ich spreche. Mir fiel der Wilde Freiger ein. Ich schaute direkt nach meinem Tagebucheintrag vom Juni 1995 und gebe ihn hier zum Besten:
In Vorbereitung auf unser großes Wander-Abenteuer in der Westschweiz vom kommenden Donnerstag bis Sonntag wollten wir uns einem letzten Härtetest unterziehen und fuhren in aller Herrgottsfrühe in die Stubaitaler Alpen, etwa eine halbe Stunde hinter Innsbruck. Das Auto blieb auf einer Höhe von 1300m direkt auf der Hauptstraße stehen. Eine halbe Stunde wanderten wir durch ein herrliches Tal mit riesigen Blumenwiesen und Wasserfällen. Im Hintergrund ragten schneebedeckte Gipfel hervor. Es versprach ein supertoller Tag zu werden. Die Sonne schien unbarmherzig. Am Freitag hatte ich mir in Neuötting eine Gletscherbrille gekauft, die an diesem Tag unentbehrlich war. Mein australischer Hut mit Riesenkrempe tat ein Übriges, um Sonnenbrand im Gesicht und an den Ohren zu vermeiden. Mit der Brille kaufte ich mir auch eine Wanderjacke. Die ging allerdings richtig ins Geld: 400 DM. Um 12.00 Uhr trudelten wir an der Nürnberger Hütte in 2297 m Höhe ein, gönnten uns eine Stunde Pause und gingen weiter. Unser Ziel war der Wilde Freiger, laut Führer ein unbedeutender Gipfel in diesem Gebiet, aber immerhin 3418m hoch. Wir liefen und liefen, und langsam setzte bei uns Verunsicherung ein, für die die entgegenkommenden Wanderer mit ihrem blöden Gequatsche sorgten. Gegen 15.00 Uhr machten wir eine Rast. Ich hatte etwas Kopfschmerzen und war vollständig ausgelaugt. Während ich mich ausruhte, wollten meine zwei Cousins ergründen, was es mit dem Gipfelkreuz auf sich hatte, das wir in großer Entfernung entdeckt hatten. Wir waren uns einig, dass dies nicht unser Gipfel sein konnte. Um 19.00 Uhr kamen die beiden wieder. Die niederschmetternde Nachricht für mich lautete: Das da oben ist der Gipfel. Sie hatten es geschafft, während ich unten in der Sonne herumgedöst hatte. Jetzt gab es kein Zögern mehr. Ich schnappte mir die Stöcke, eine Wasserflasche und die Stirnlampe und trat an, zum Kampf meines Lebens. Es war unglaublich hart, voranzukommen. Das Einzige, was mich immer wieder vorwärtstrieb, war das ständig zu sehende Gipfelkreuz. Aber es war so mühsam. Irgendwann hatte ich es dann geschafft. Ich umarmte das Gipfelkreuz, ließ einen Jubelschrei los und feierte diesen Moment. Ich gönnte mir nur eine Minute Rast. Es wurde langsam dunkel. Das Wetter schien durchzuhalten. Das Gewittergrollen war noch meilenweit weit weg – dachte ich. Beim Abstieg fühlte ich mich immer besser. Doch urplötzlich schlug aus heiterem Himmel ein Blitz ein. Er explodierte so nah neben mir, dass ich für einen Moment geblendet war. Und das Geräusch hörte sich an, als ob jemand zwei Meter neben mir einen Kurzschluss auf 10.0OOV verursacht hätte. Im zweiten Moment legte ich einen Salto in den Schnee hin. Jeder kann sich vorstellen, dass ich – als ich mich wieder aufgerappelt hatte – noch einen Schritt zulegte. Ich dachte bereits darüber nach, ob ich mich von den Stöcken trennen sollte, um den Blitzen kein Ziel zu bieten. Bis zum „Basislager“ kam ich dann einigermaßen gut durch. Wenig später brach es über uns herein. Das Gewitter kotzte sich nach allen Regeln der Kunst über uns aus, bis wir 45 Minuten später völlig fertig die Nürnberger Hütte erreichten. Ich wusste, was ich getan hatte. In 75 Minuten war ich von 3400m auf 2300m abgestiegen. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal schneller einen Berg verlassen zu haben… Auf diesen Schreck hin gönnten wir uns ein Zimmer, statt den Schlafsaal. Ich brauchte nicht lange, um den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Es war klar, dass es am Sonntag nur eine Gehrichtung geben konnte: Talabwärts.
Ich bin 1995 noch auf dem Gletscher nach oben gewandert. Der Gletscher ist weg. Da oben sei laut Internet jetzt eine Kletterstelle. Davon war vor 28 Jahren nichts zu sehen. Fazit: Wann auch immer wir in den Bergen in Schwierigkeiten steckten, spielte das Thema Zeit eine große Rolle, und wir waren immer zu spät dran. An den drei Zinnen übernachteten wir quasi in der Felswand, und die Felswände haben es in sich, wenn man sich die typischen Postkarten anschaut. Von einem Unwetter blieben wir verschont. Die Blitze waren nur am Horizont zu sehen. Am Ortler waren wir zu spät unterwegs und gerieten auf über 3.000m in einen mordsmäßigen Schneesturm. Der eilige Abstieg über gefrorene Felsen wird mir immer in Erinnerung bleiben, weil da auch dieser extrem steinschlaggefährdete Gletscherhang war, den wir in hohem Tempo queren mussten. Davon erzähle ich mal in einem Extra-Blog. Am Hohen Göll kamen wir in völliger Dunkelheit überhaupt nur heil nach unten, weil wir eine Stirnlampe dabeihatten. Das Datum dieser Tour ist unvergesslich: 03. Oktober 1990.
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