Das Sylt-Video hat sicherlich schon halb Deutschland gesehen. Mir war vor zwei Tagen sofort klar: Das wird einen ordentlichen Aufschrei geben. Die Skandale um die AfDler Krah und Bystron sind weitestgehend ausgelutscht. Medien und Politik lechzten geradezu nach neuem Futter.
Und dann kommt dieses Video auf Twitter zum Vorschein. Wichtig ist die Frage: Wo und wann wurde es aufgenommen? Kultclub Pony in Kampen auf Sylt am Pfingstwochenende. Die Echtheit ist besiegelt.
Ich habe darüber nachgedacht, in welcher Situation ich die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singen oder grölen würde. Antwort: In keiner. Ich müsste schon völlig durch Alkohol benebelt sein, um mich hier anstecken zu lassen. Weil aber Alkohol nichts anderes als Zellgift ist, rühre ich ihn nicht an. Kein Alkohol, weniger Probleme.
Jedenfalls ist der Spruch völlig daneben. Die bundesdeutschen Reaktionen auf das Video sind dennoch fragwürdig. Die SPD versuchte es mit folgendem Wortspiel: Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen. Das hätte ich sogar unterschrieben. Aber ach. Wegen eines Shitstorms in den sozialen Medien wurde der Spruch wieder gelöscht. Begründung: Man habe den Ton nicht getroffen. Das ist nichts Neues.
Vielfältige Reaktionen:
- HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg), weil offenbar eine Studentin beteiligt war: Erschreckend und abscheulich.
- Polizei: Die Ermittlungen des Fachkommissariats für Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen dauern an.
- Werbeagentur Serviceplan (hat einen Mitarbeiter im Video erkannt): Entsetzlich, fristlose Kündigung.
- Deutsche Bank (eine Mitarbeiterin war beim Gegröle dabei): Prüft und wird ggf. entsprechende Maßnahmen einleiten.
- Infineon und Vodafone: Zeigen sich betroffen.
- Pony-Verantwortliche: „Uns wurden die Namen der Nazis zugespielt.“
- Dr. Niema Movassat (Linken-Politiker und Rechtsanwalt: „Dass die deutsche Oberschicht schon immer einen Hang zum Faschismus hatte, wissen wir seit 1933.“
- Ferda Ataman (Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung laut Hamburger Abendblatt: „Das ist blanker Rassismus, der sich immer weiter in alle Milieus und Altersgruppen hineinfräst und offen ausgelebt wird. Die Bilder stammen offenbar nicht aus einer Nazikneipe, sondern einer Nobelbar in Sylt.“
Jobs sind weg.
Spätestens hier können wir die Liste schließen, obwohl die Liste der Reaktionen noch viel länger ist. Mich wundert, dass die Erstellerin des Videos in der Zwischenzeit ihren Job verloren haben soll. Sie war offensichtlich Angestellte der Influencerin Milena Karl. Begründung: Sie hätte mitgesungen. Ich kann das so nicht bestätigen. Ich meine, man würde es hören, wenn man das iPhone mitlaufen lässt und selbst mitsingt. Aber so schnell kann es gehen.
Ich würde als Blogger bei einer solchen Szene mein iPhone ebenfalls aktivieren und anschließend darüber schreiben, weil ich es als journalistische Pflicht ansehe, einen solchen Vorgang in die Öffentlichkeit zu bringen? Wenn dann jemand behauptet, ich sei mittendrin gewesen und nicht nur dabei, dann wäre ich anschließend meinen Job los? Wenn sich diese Masche durchsetzt, kann das heiter werden. Auf T-online wiederum wird gesagt, dass die Video-Erstellerin selbst auf dem Video singend zu sehen sei. Das wäre dann eine schöne Dummheit. Das muss dann die Dame gleich am Anfang sein. Double-Check: BILD bestätigt das.
Ferda Ataman: Keine Unbekannte.
Die frühere Aktivistin Ferda Ataman, die laut NZZ für die alteingesessene Bevölkerung nur Hohn und Spott übrig hat (Stichworte: Kartoffeln, dünnhäutige Emodeutsche), urteilt zwar völlig richtig, wenn man den Begriff „einfräsen“ als zu überspitzt außenvorlässt, doch fehlt freilich die Analyse, warum es so weit gekommen ist. Ich gebe ihr die Antwort: Die Gesellschaft wurde durch Corona, die Migrationspolitik, die neuen deutschen Medienmacher und durch sie selbst gespalten. Und weil ihre Jobbezeichnung mit „Unabhängige…“ beginnt, könnte sie – befreit von allen Ampel-Ideologien – selbst drauf kommen.
Derweil füllt sich Twitter mit ähnlichen Vorfällen. Das Lied L’Amour Toujours von Gigi Agostiono von 1999 braucht ab sofort keinen Text mehr. Wann immer es ab jetzt irgendwo gespielt oder auch nur gesummt wird, ist die Botschaft klar, ganz ohne jeglichen Text. Passend dazu huscht eine X-Nachricht der Stadt Erlangen über den Bildschirm, dass das Lied auf der Erlanger Bergkirchweih nicht mehr gespielt wird. Ich habe spotify gecheckt. Da ist es noch zu hören.
Hier noch schnell ein Artikel der taz, wie das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 zu „Ausländer raus“-Parolen urteilte. Ein Augsburger Bündnis hatte 2002 auf Plakaten folgenden Slogan verwendet: „Aktion Ausländer-Rück-Führung, Aktionswochen 3. Juni – 17. Juni 2002, Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“. Das Bündnis musste acht Jahre auf einen finalen Freispruch warten, nachdem zwei niedrigere Instanzen Geldstrafen verhängt hatten. Dennoch finden sich für den Sylt-Sündenfall innerhalb von 48 Stunden sowohl Kläger als auch Richter und dazu gleich die Vollstrecker.
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