Es könnte sein, dass es Bevölkerungsschichten gibt, die weder mit der Personalie Oettinger, noch mit der Verkaufsmarke Shein etwas anfangen können und die auch die ovb-Zeitung nicht kennen. Der OVB klärte am gestrigen Samstag darüber auf, dass Ex-EU-Kommissar Oettinger von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von BW war und nun bei Shein als freier Berater einsteigt.
Wir bringen weiteres Licht in die Sache. Oettinger war von 2010 bis 2019 Kommissar in drei Positionen: Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Energie sowie Haushalt und Personal.
Nach dem Ausscheiden aus der EU-Kommission ließ sich Oettinger 13 Beschäftigungsverhältnisse genehmigen. Es ist kaum verwunderlich, dass der 70-jährige nun bei Shein einsteigt, mit einem „eng begrenzten Mandat“ für „Cybersicherheit, Datenschutz und Geopolitik“.
So stelle ich mich demnächst auch vor. Herr Behrens, was machen Sie eigentlich beruflich? Ach, ich bin in einem IT-Unternehmen beschäftigt, aber mein Mandat ist eng begrenzt auf IT.
Oettingers Vergangenheit
Was ist der Öttinger für ein Politiker? Ich hielt bis dato nicht besonders viel von ihm. Wikipedia bestätigt das, teilweise muss ich meine negative Meinung aber revidieren. 2014 äußerte er sich auf einem CDU-Wirtschaftsrat, dass er das EEG am liebsten komplett abschaffen würde, weil Deutschland von Hauseigentümern mit Solaranlagen, Bauern mit Biomassekraftwerken und Bürgern unterwandert seien, die in Windkraft investierten. Meine Rede.
Stuttgart 21 hat er auch zu verantworten. In der Machbarkeitsstudie von Anfang 1995 lagen die Kosten (mit Preisstand 1993) bei rund 2,45 Milliarden. Da war Oettinger noch nicht mit von der Partie. Beim Finanzierungsvertrag aus 2009 über 4,625 Milliarden Euro zwischen der DB, dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart war er aber federführender Ministerpräsident. Die Baukosten waren damals wirklich super-seriös geschätzt und werden mit tatsächlichen 11,453 Milliarden Euro wirklich nur knapp verfehlt.
Im Subventionsbericht für das Jahr 2011 ließ Oettinger als EU-Kommissar auflisten, dass die erneuerbaren Energien in Europa mit 30 Milliarden Euro subventioniert worden seien. Gleichzeitig wurden aber die Kernkraft europaweit mit 35 Milliarden und Kohle- und Gaskraftwerke mit 66 Milliarden Euro direkt und indirekt staatlich subventioniert. Das sind unfassbare Summen, die man auch auf die Jahre vorher und danach projizieren kann. Europas und damit die deutsche Energiepolitik sind ein einziger Scherbenhaufen. Subventionen in alle Richtungen, ohne Sinn und Verstand und für sich widersprechende Energieerzeugungsformen.
Oettinger: Bekannt für polarisierende Aussagen
Ansonsten gab es seinerseits völlig korrekte aber eben auch provozierende Aussagen. Ihm machten Länder wie Bulgarien und Rumänien Sorgen, die „kaum regierbar“ sein. Geht in meine Richtung. Ich hatte exakt dazu in Mühldorf im Inn-Carrée in einer Fragerunde den damaligen luxemburgischen Außenminister und EU-Politiker Jean Asselborn gefragt, wie es denn sein könne, dass Hilfsorganisationen weiterhin LKW-Hilfs-Konvois nach Rumänien organisieren müssen, obwohl das Land doch nun schon seit 2004 der EU angehöre. Seine Antwort war ähnlich. Rumänien sei schwierig und es liege an der Regierung.
Jetzt kommen wir noch schnell zu Shein (man spricht die Firma in zwei Silben aus: She-In). Diese Modemarke, die fast nur online agiert, macht das deutsche Dilemma deutlich. Die Teenager fahren auf die Billig-Klamotten aus China ab. Obwohl der Hauptsitz von Shein seit Anfang der 20iger Jahre von China nach Singapore verlegt wurde, kann man Shein mit Fug und Recht als chinesisch bezeichnen. Die Designs sind so rasend schnell, dass die 15-jährige, die mit einem Shein-T-Shirt früh in die Schule geht, sicher sein kann, auf keine Schulkameradin mit dem gleichen Shirt zu treffen. Das wäre der Super-Gau.
Die 15- bis 25-jährigen interessiert Nachhaltigkeit in keiner Weise. Produktionsbedingungen? Umweltverträglichkeit? Mindestlöhne? Spielt bei Preisen um die sechs Euro keine Rolle. Shein hat ausgeklügelte Methoden der Kundenbindung. Punktesysteme, Sonderangebote und Dauerrabatte binden die Kundschaft. Service, Rückgaberecht? Interessiert niemanden. Kostet ja alles nichts. Umweltorganisationen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, siehe Utopia.
Es ist aber nicht nur die junge Generation, die konsumiert, als gäbe es kein Morgen. Auch unser Freund Oettinger lässt sich von den Produktions- und Vertriebsmethoden von Shein nicht abschrecken und schickt sich an, sich als freier Berater ein kräftiges Stück vom Kuchen abzuschneiden.
Welches Wissen hat er in Sachen Cybersicherheit und wieviel Geld bekommt er von der Billigmodemarke?
Ich könnte schätzen und sagen: Ziemlich wenig und ziemlich viel. Oettinger braucht zum Thema Cybersicherheit aber auch kein Wissen. Die Chinesen setzen allein auf sein Netzwerk und auf seine Kontakte, um Strafzölle und andere Unwägbarkeiten für Shein abzuwenden, die auch damit zu tun haben, dass man mit seinem Wirken die internationale Modebranche nachhaltig durcheinanderwirbelt. Das ist tatsächlich das Einzige, wo Shein „nachhaltig“ agiert…
Ansonsten plant man den Gang an die Börse. Da kann Deutschland dann seine Aktienrente mit Hilfe von Shein finanzieren. German Doppelmoral. Viel Spaß.
Ich schwöre bei Gott: Niemals kaufe ich bei Temu oder Shein ein. Niemals werde ich ein chinesisches Auto fahren. Niemals werde ich nach China reisen.
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