Bundeskanzler Scholz freute sich gestern auf seinem Twitter-Account, dass die Leute wieder mehr Geld im Portemonnaie haben, die Inflation sinke und die Reallöhne das fünfte Quartal in Folge steigen würden. Die Menschen mit kleinem Einkommen würden besonders profitieren.
Mein Gefühl ist ein anderes, das der 3.500 Kommentatoren irgendwie auch. Als besten Kommentar des Tages habe ich diesen hier ausgemacht, der eine Rückfrage des Users ‚Axel Kamann‘ an den Kanzler ist: Aus welchem Paralleluniversum erreicht mich Ihre Nachricht?
Wenn der Kanzler seine Statements nicht mit Zahlen unterfüttert, wird es schwierig, ein Verständnis zu entwickeln.
Ich musste gestern auf dem Neumarkter Stadtplatz ein Stück Butter kaufen – Befehl von oben. Das ist ein Vorgang, der höchst selten vorkommt. Ich meine damit nicht die Befehle, die kommen ständig. Der Akt des Einkaufens ist gemeint. Ich habe das dann auftragsgemäß erledigt und 3,39 Euro dafür bezahlt und mit 1,99 Euro gerechnet. Mir schwante Böses. Ich bekam für den Fehleinkauf den erwarteten kleinen Anraunzer. Daraufhin gab ich meiner Hoffnung Ausdruck, dass die Bauern doch von diesen Preisen entsprechend partizipieren werden. Die Rückfrage war, ob ich vielleicht an Realitätsverlust leide.
Daraufhin schaute ich mir im Netz die Entwicklung der Butterpreise an. Laut Statista.de ist er von 2020 bis Juli 2024 auf 139% gestiegen, also um 39%. Allein von Juli 2023 zu Juli 2024 ging der Butterpreis um 20,6% nach oben. Meine Gehaltssteigerung war im Vergleich dazu in den letzten vier Jahren marginal. Ich bin darüber selbst ganz erschrocken. Entweder bleibe ich beim Scholz‘schen Statement komplett außen vor, oder ich habe irgendetwas nicht verstanden, womit ich mich in die große Schar der Kommentatoren einreihe.
Von der Reallohnentwicklung abgekoppelt
Und dicht gefolgt auf das Statement des Kanzlers kündigt Gesundheitsminister Lauterbach heute steigende Beitragssätze bei den gesetzlichen Krankenversicherungen ab 2025 an. Für seine völlig verkorkste Krankenhausreform müssen jetzt die Versicherten blechen. Und das erzählt er den Betroffenen zwei Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Das finde ich sehr geschickt eingefädelt und führt zudem die von Scholz getätigte Aussage, Bürger und Bürgerinnen mit kleinem Einkommen profitierten von sinkender Inflation und steigenden Reallöhnen, direkt wieder ad absurdum. Die Frankfurter Rundschau führt aus, dass die Zusatzbeiträge der Krankenkassen um 0,75% steigen könnten.
Früher hatte der Begriff „Zusatzbeitrag“ einen Sinn, weil dieser nur vom Arbeitnehmer zu tragen, war, um die Firmen von steigenden Lohnzusatzkosten zu verschonen. Aber wie das im Sozialismus halt so ist: Seit 2019 fanden die Proleten es viel besser, dass sich AG und AN in kühnster Augenwischerei wieder paritätisch hineinteilen. Der festgelegte Beitragssatz von 14.6% ist nur noch eine unbedeutende Zahl. Man könnte Beitragssatz und Zusatzbeitrag auch direkt zu einem Prozent-Betrag addieren. 17% KV-Beitrag klingen aber so unzumutbar hoch. Da spricht man doch lieber vom Anstieg der Zusatzbeiträge um 0,75%.
Selbst bei den Zusatzbeiträgen, bei denen ich davon ausging, dass ihn jede Krankenversicherung auf Grund einfacher Einnahmen/Ausgaben-Berechnungen selbst festlegen kann, greift der Staat ein und legt ihn gesetzlich fest. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz stieg 2024 laut TK-Versicherung auf 1,7 Prozent. Lauterbach hätten den Versicherten ruhig erzählen können, wie es mit diesem „durchschnittlichen“ Prozentsatz in 2025 ausschauen wird. Da ist nicht mehr so lange hin.
Zusatzbeiträge steigen
Die Hans-Böckler-Stiftung prophezeite schon im Jahr 2010, dass im Jahre 2025 alle Versicherten in den Sozialausgleich geraten könnten. Die Berechnungen kann ich nicht nachvollziehen. Aber es gab schon 2010 Wissenschaftler, die der Politik vorrechnen konnten, was geschieht, wenn man immer so weiter macht. Wie hat die Politik reagiert? Sie hat immer so weiter gemacht. Nicht ganz. Der Sozialausgleich wurde 2015 einfach durch die Schaffung des Zusatzbeitrages gelöst. Lapidare Begründung: Ein Sozialausgleich und damit verbundene Mehrbelastungen des Bundeshaushalts sind nicht mehr erforderlich.
Nur für das Protokoll: Die Subventionen des Staates in das marode Krankenversicherungssystem betrugen im Jahr 2023 etwa 14,5 Milliarden Euro.
Die Aussichten für die nächsten Jahre sind äußerst trübe. Würde man die Beitragssätze (für Rente, KV und Arbeitslosenversicherung) der Arbeitnehmer auf 40% festschreiben wollen, müsste der Staat im Jahr 2030 gemäß pkv.de unfassbare 275 Milliarden in die Systeme pumpen, pro Jahr.
Fazit: Das war es dann wieder mit dem Profitieren von höheren Löhnen. In Vertretung für alle gesetzlich Krankenversicherten bedankt sich ein nicht-gesetzlich Krankenversicherter (der die fade Suppe aber auch mit auslöffeln muss) sehr herzlich bei den Herren Scholz und Lauterbach? Wofür? Für nichts.
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