Samstag, 28. September 2024, Nahost-Ticker: Israel schlägt erneut zu.

Der Chef der Hisbollah, Hassan Nasrallah, tauchte am 19. September im Fernsehen auf, wo er nach Israels Pager-Attacke wie der unschuldige ältere Herr von nebenan in großväterlichem Ton zu uns sprach. Ich erwähnte ihn am gleichen Tag in meinem Blog, stellte aber die Frage nicht, die mir auf der Zunge lag. Wie lange wird er noch am Leben sein? Neun Tage später ist die Frage beantwortet. Israel und auch die Hisbollah selbst verkünden seinen Tod.

Was konnte unsere Außenministerin Baerbock zum Geschehen beitragen? Zunächst ignorierte sie gestern für einen kurzen Moment alle Konflikte und warb für eine Frau an der Spitze der UN. Diese Frage ist absolut wichtig und treibt mich schon seit Jahren um. Sie kann einfach nicht anders.

Dann sprach sie sich für eine 21-tägige Waffenruhe in Libanon/Israel aus. Sie hätte mit 20 Tagen auch eine runde Zahl nehmen können. Logischer wäre für mich gewesen, sie hätte eine Waffenruhe für immer gefordert. So aber hört sich das wie eine gewährte Atempause an, nach der man dann mit frischen Kräften – und von Baerbocks Gnaden – nach 21 Tagen um so beharrlicher auf den jeweiligen Feind ballert.

21-tägige Waffenruhe gefordert. Und danach geht es lustig weiter?

Es wäre egal gewesen, welche Art von Waffenruhe Baerbock fordert. Israel nahm Baerbocks Äußerungen zur Kenntnis und brachte die notwendige Waffenruhe wieder ein Stückchen voran, allerdings anders als sich Baerbock das vorzustellen vermochte. Israel hat mit einem gezielten Schlag aus der Luft den Hisbollah-Chef getötet. Als der Big Boss gestern auf die Seite des Herren wechselte, folgten ihm einige wichtige Kommandeure, die er immer im Schlepptau hatte, im Millisekundenbereich nach. Israel kann auf der Todesliste wieder ein Häkchen machen. Man kann den Angriff schlecht kritisieren. Zwischen 1923 und Mai 1945 hätte jeder Ja und Amen gesagt, wenn es einem ausländischen Geheimdienst gelungen wäre, einen bestimmten Österreicher zu töten.

Eine Frage taucht jetzt zwangsläufig auf. Wer will auf Seiten der Hisbollah und der Hamas noch den Job als Anführer übernehmen, wenn man damit dem Tod geweiht ist? Nicht nur Israels Luftschläge sind gefürchtet. Angsteinflößend sind auch die weltweit agierenden israelischen Killerkommandos. Der interne Name für solch ein Kommando ist Kidon, das Bajonett.

Die frühere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir hatte nach der Ermordung israelischer Geiseln bei den Olympischen Spielen 1972 vom „Zorn Gottes“ gesprochen. Wahrscheinlich war dieses Ereignis die Geburtsstunde der inoffiziellen Todesliste. Atef Bseiso, der PLO-Geheimdienstchef  und enge Vertraute von Jassir Arafat, schaffte es, den Israelis zwanzig Jahre lang zu entgehen. In Paris ereilten ihn dann drei Kopfschüsse. Anstatt sich bei Israel zu entschuldigen, einen Mörder im Land unbehelligt zu lassen, hatten die Franzosen tatsächlich das Selbstvertrauen, diplomatisch zu protestieren. Die israelische Regierung zog daraufhin nicht einmal eine Augenbraue in die Höhe.

Kidon – das Bajonett

Weil jeder Krieg letztlich am Verhandlungstisch beendet wird, stellt sich die Frage, mit wem die Israelis schlussendlich verhandeln werden, wenn auf der Gegenseite der gegenüberliegenden Seite des Verhandlungstisches niemand sitzen wird, wenn man vorher faktisch alle Köpfe eliminiert hat?

Während Baerbock von einer Waffenruhe träumt, arbeitet das israelische Militär stoisch an den Auslöschungsplänen für die Hamas und die Hisbollah. Die Israelis sehen das mit dem Verhandlungstisch somit offensichtlich pragmatisch. Sie zerstören die Hisbollah so final, dass es keine Verhandlungen mehr geben muss.

Iran gilt als geistiger Ziehvater der Hisbollah. Die iranische Führung gerät immer weiter unter Druck der Hardliner, die ein Eingreifen fordern. Es wäre der reinste Selbstmord. Israel fühlt sich dem 74 mal größeren Iran militärisch überlegen. Iran hat zehnmal so viele Einwohner wie Israel, darunter 545.000 Soldaten. In Israel gibt es 170.000 Soldaten plus 465.000 Reservisten.

Im Zusammenhang mit der „Eliminierung“ Nasrallahs las ich das erstmals von „kotletification“, und zwar auf Twitter. Es ist kein gebräuchlicher Begriff. Keine Übersetzungssoftware kennt dieses Wort. Aber ich habe eine Ahnung, was gemeint ist.

Der Angriff erfolgte auf das Hauptquartier der Hisbollah. Der Bunker war verbuddelt in der Erde, selbstverständlich unter Wohnhäusern. Da dürfte es einigen Kollateralschaden gegeben haben. Es kursiert die Theorie, dass sich die Hisbollah-Spitze einigermaßen in Sicherheit wähnte, weil der israelische Präsident Netanjahu gerade in New York war. In einer digitalisierten Welt glaube ich an so etwas nicht.

Hauptsache, Frau Baerbock weiß, was im Interesse Israels ist.

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