Samstag, 09. November 2024: Redensarten, die aus dem Mittelalter stammen – Update

Carcassonne, Frankreich, 2011

Wer hat nicht auch schon das eine oder andere Mal eine Redensart benutzt, wie: ‚auf dem Holzweg sein‘, oder ‚durch die Lappen gehen“. Hier kommt eine kleine Auswahl. Der Aufhänger ist die Burg Frauenstein im Erzgebirge, in der einige dieser Redensarten mit kleinen Täfelchen erklärt werden und bei den Besuchern für Aha-Effekte sorgen.

Jemandem etwas in die Schuhe schieben.

Früher gab es Herbergen, die – ähnlich den heutigen Jugendherbergen – Gemeinschaftszimmer hatten. Wenn ein Dieb seine Diebesware über Nacht in den Schuhen eines Zimmer-Genossen versteckte, dann hatte er jemandem etwas in die Schuhe geschoben…

Etwas auf dem Kasten haben.

Man kann diesen Begriff auf zwei verschiedene Arten herleiten.

Option 1: Im Mittelalter glaubte man, dass der Brustkasten als auch Kopf (der Hirnkasten) leere Hüllen sind, die zu befüllen sind. Ein voller Hirnkasten war somit ein Zeichen von Intelligenz. NIcht auf dem Kasten zu haben war somit eine abwertende Bemerkung für einen Mitmenschen.

Option 2: Früher besaßen die Schüler große Holzkästen mit Tontafeln, auf denen geschrieben wurde, was die Lehrer ihnen erzählte. Wer fleißig war, hatte am Ende des Schultages „ordentlich was auf dem Kasten“.

Ich bin für Option 1, weil wir in Bayern den Begriff „Hirnkaschtl“ kennen.

Sein blaues Wunder erleben.

Der Begriff ist heute negativ besetzt. Früher war es aber ein positives Ereignis. Die Tuchmacher erlebten ihr blaues Wunder, wenn der Stoff beim Färben wie gewünscht blau wurde.

Auf den Zahn fühlen.

Früher wurde den Pferden „auf den Zahn“ gefühlt, um das wahre Alter der Gäule zu bestimmen. Denn den Roßtauschern (später abfällig Roßtäuscher genannt) konnte man nicht trauen. Sie arbeiteten mit allen Tricks, um ihre Pferde zu verkaufen.

„Vögeln“

Man mag es kaum glauben, aber auch hierfür gibt es einen mittelalterlichen Hintergrund. Wenn eine Dame ihrem Liebhaber signalisieren wollte, dass der Gemahl nicht zu Hause ist, hängte sie den Vogelkäfig vor das Fenster. Der Liebhaber ging sogleich zu den „Vögeln“…

Den Braten riechen…

Diese Redewendung geht bis auf das Jahr 1224 zurück und hat etwas mit dem Franziskanerorden zu tun. Bettelmönche gingen – gemäß ihrem Gelübde, von Almosen zu leben – von Tür zu Tür. Wenn sie dann von den Bewohnern mit dem Argument, man habe selber nichts, abgewiesen wurden, der Duft aber vom Herd bis zur Tür wehte, dann konnten die Mönche den Braten riechen und wussten, dass hier gelogen wurde.

Jemanden über den Löffel balbieren…

Die erste Idee ist die richtige. Balbieren hängt mit Barbieren zu tun. Der Barber rasierte früher seine Kunden und tut das auch heute noch. Aber wozu brauchte er früher einen Löffel? Nun. Die Menschen verloren früher viel eher ihre Zähne, woraufhin die Wangen einfielen, was das Barbieren erschwerte. Der Barber drückte von innen einen Löffel gegen die Wange und balbierte seine Kunden somit über den Löffel… Weil diese Prozedur ein wenig herabwürdigend war, bürgerte sich die Begrifflichkeit für Situationen ein, wo jemandem übel mitgespielt wurde.

Etwas auf dem Kerbholz haben…

Im Mittelalter war Schreiben und Lesen nicht selbstverständlich. Machte einer beim anderen Schulden, wurde das Kerbholz verwendet und der Schuldner bekam eine Kerbe mehr auf seinem Holz. Damit hatte er etwas auf dem Kerbholz…

Seinen Senf dazugeben

Als sich im Mittelalter der Handel auch zwischen den Kontinenten entwickelte, wurden Gewürze und eben auch Senf importiert. Köche, die etwas auf sich hielten, verfeinerten ihre Speisen mit Senf, schossen aber ab und an über das Ziel hinaus und verwendeten Senf zu oft und zu viel. Anstatt den Geschmack zu verbessern, schmeckte das Essen nicht mehr. Der Koch hatte seinen Senf dazugegeben…

Etwas im Schilde führen…

Es handelt sich sicherlich um eine sehr leicht zu erklärende Redensart. Früher kämpften die Ritter gegeneinander und hatten auch Schutzschilde dabei. Versteckte ein Ritter hinter seinem Schild eine Waffe, dann führte er etwas im Schilde…

Jemandem etwas abknöpfen…

Edelleute trugen früher teure und manchmal mit Edelsteinen besetzte Knöpfe an der Kleidung. Sie gerieten somit ins Fadenkreuz von Dieben. Hatte es ein Dieb geschafft, einen Knopf zu stehlen, hatte er dem Reichen etwas abgeknöpft… Es gibt aber auch noch die Erklärung, dass Reiche ihren Untertanen manchmal Knöpfe schenkten.

Den Löffel abgeben…

Im Mittelalter war Luxus ein Fremdwort. Besteck im Sinne von Messer und Gabel kannten die Bauern-Familien nicht. Jedes Familienmitglied hatte einen eigenen Holzlöffel. Mensch und Holzlöffel waren bis zum Tod (des Menschen) untrennbar miteinander verbunden. Starb der alte Mensch, wobei alt relativ ist, denn damals erwischte es die Menschen schon mal mit 35 bi 40 Jahren, dann ging die Unzertrennlichkeit nicht etwa über den Tod hinaus, sodass man hätte annehmen können, dass man den Löffel als Beigabe mit ins Grab legte. Viel mehr war der Löffel so wertvoll, dass ihn ein anderes Familienmitglied bekam. Der Verschiedene gab den Löffel ab….

In die Bresche springen…

Im Mittelalter wurde ab und an eine Burg belagert mit dem Ziel, sie zu erobern. Das gestaltete sich manchmal schwierig, weil die Erbauer auf die nachvollziehbare Idee gekommen waren, das Gelände mit einer dicken Mauer zu sichern. Die Belagerer versuchten daher, mit Kanonenkugeln die Mauer zu durchschlagen. Gelang dies, klaffte ein Loch. Jetzt war es die Aufgabe eines Ritters, dieses Loch mit seinem eigenen Körper (samt Rüstung) zu verschließen. Weil das schnellgehen musste, sprang er gewissermaßen in die Bresche…, um wie ein Korken das Loch zu schließen. (frz. bréche = Öffnung, Spalt)

Jemandem einen Korb geben…

Im Mittelalter gehörte es zur romantischen Brautwerbung dazu, unter dem Balkon oder unter dem Fenster der Angebeteten um eine Verabredung zu bitten. Ein Korb wurde herabgelassen und der Freier nach oben gezogen. Wurde ein Korb mit beschädigtem Boden heruntergelassen, war der Freier nicht willkommen, was einer bodenlosen Gemeinheit gleichkam. Noch peinlicher war die Variante, den Freier auf halber Höhe hängen zu lassen. In beiden Fällen hatte man dem Freier einen Korb gegeben…

Eine Tat aufdecken…

Im Mittelalter gehörte es zum Brauch, einem Übelltäter „aufs Dach zu steigen“ und dieses buchstäblich abzudecken. Der Übeltäter hatte dann kein Dach mehr über dem Kopf. Die Tat war aufgedeckt.

Hinz und Kunz…

Im Mittelalter trugen viele Männer diese zwei Namen. Es handelt sich um die Kurzformen von Heinrich und Konrad. Das häufige Vorkommen dieser Namen führte zu Verwechslungen und Irritationen. Deshalb wurde diese Redensart später zu einer Spottbezeichnung.

Eine Scharte auswetzen…

War ein Schwert im Kampfe oder bei Übungen bzw. eine Sense bei der Arbeit beschädigt worden, musste der Schmied ran, der das Metall mit einem Schleif- oder Wetzstein wieder glattscheuerte. Er wetzte die Scharte aus…

Umgekehrt wird ein Schuh daraus

…bedeutet, dass die Schuhe im Mittelalter auf links genäht wurden. Sie mussten anschließend erst noch umgedreht werden, damit sie tragbar waren. Erst mit dem Umdrehen wurde ein Schuh draus.

Durch die Lappen gehen….

Um bei der Jagd das Wild in die gewünschte Richtung zu treiben, wurden Schnüre zwischen den Bäumen gespannt und bunte Lappen aufgehängt. Die Tiere scheuten sich normalerweise vor diesen „Barrieren“. Lief aber doch ein Tier in seiner Panik einfach da durch, ging es durch die Lappen…

Steinreich sein…

Im Mittelalter konnten sich nur wenige Menschen Häuser aus Steinen leisten. Wer es sich leisten konnte, war steinreich…

Das Geld liegt auf der Straße…

Weil Steine so teuer waren, waren die Bürger von Städten strikt dagegen, dass Wege mit Steinen gepflastert und somit befestigt wurden. Setzte sich der Rat gegen den Widerstand durch und baute die Straße, spotteten diese mit der Bemerkung, dass das Geld buchstäblich auf der Straße liege.

Die Tafel aufheben…

Im Mittelalter standen die Speisen auf großen Brettern, die auf Holzböcken lagen. Nach dem Mahl wurden die Bretter mit allem, was darauf stand aufgehoben und aus dem Saal herausgetragen.

Wenn etwas Hand und Fuß hat…

Im Mittelalter war ein Ritter einsatzfähig, wenn er noch die rechte Hand hatte, um ein Schwert zu benutzen bzw. den linken Fuß, um sein Pferd zu besteigen. Wurden als Strafe die Gliedmaßen abgetrennt, war das nicht nur gesundheitlich ungünstig, sondern war dies auch ein Zeichen für die Nutzlosigkeit des Menschen.

Das Wasser nicht reichen können…

Weil im Mittelalter mit den Fingern gegessen wurde, wurde vor und nach dem Essen Wasser gereicht. Das durfte aber nicht jeder tun. Nur Pagen, also Edelknaben, durften den edlen Herrschaften das Wasser reichen…

Blau machen…

Die Färber legten im Mittelalter die Stoffe, die sie blaufärben wollten, an Sonntagen in ein spezielles Färbebad. Am Montag nahmen sie die Stoffe aus dem Bad heraus und hängten sie zum Trocknen auf. Während des Trocknungsvorgangs hatten die Gesellen nichts zu tun. Sie machten blau.

Die Kurve kratzen…

Man sieht heute noch in historischen Stadtkernen viele Häuser mit solchen abgerundeten Ecken, direkt über dem Pflasterstein. Diese runden Steine dienten dem Schutz der Häuser. Die Gassen waren eng. Dennoch mussten Pferdefuhrwerke irgendwie durchkommen. Um überhaupt um eine Kurve zu kommen, steuerten die Fuhrwerksfahrer ihr Fuhrwerk so geschickt in eine Rechts- oder Linkskurve, dass das rechte bzw. linke Hinterrad absichtlich auf den Stein trafen. Die Wucht des Aufpralles rückte den hinteren Fuhrwerksteil so zur Seite, dass das Fuhrwerk überhaupt um die Kurve kam. Man kratzte die Kurve…

Wenn Hopfen und Malz verloren ist…

…dann hatte das tatsächlich etwas mit dem Bierbrauen zu tun. Wenn der Gärungsvorgang nicht funktionierte, war das Bier ungenießbar. Die teuren Zutaten, Hopfen und Malz, waren verloren.

Einen Zahn zulegen…

…hieß es wenn im Mittelalter das Essen über der Feuerstelle hing und nicht schnell genug kochte. Dann hängte man den Topf auf der Hakenleiste einen Zahn tiefer. Man legte einen Zahn zu…

Mit Kind und Kegel

Als Kegel wurden im Mittelalter uneheliche Kinder bezeichnet. Nahm ein hoher Herr auf seiner Reise nicht nur die ehelichen sondern auch die unehelichen Kinder mit, dann reiste er mit Kind und Kegel.

Es brennt mir auf den Nägeln…

…dachten sich die Mönche im Kloster, wenn sie bei der Frühmesse kleine Kerzen auf den Daumennägeln befestigten, um ihr Gebetsbuch besser lesen zu können, die Messe dann aber so lange dauerte, dass die Kerzen herunterbrannten und… der Wachs auf den Nägeln zu brennen begann. Ich meine, heute sagen wir eher: Die Sache brennt unter den Nägeln.

Auf dem Holzweg war man…

…wenn man im Mittelalter vom Weg abkam. Das konnte vorkommen, wenn Holzfäller ihr geschlagenes Holz aus dem Wald transportierten und damit Schleifspuren erzeugten, die als Weg misinterpretiert werden konnten. Wählte man aus Versehen diesen Weg, landete man mitten im Wald und war somit auf dem Holzweg…

Hänseln

… hat seinen Ursprung in einem erniedrigenden Aufnahmeritual für Hansekaufleute. Was die Hanse mit ihren zukünftigen Mitgliedern veranstaltete, wurde vom Volk alsbald in Hänseln umgetauft und verwendet, wenn man seine Mitmenschen verspottete.

Ein Schlitzohr…

…war man, wenn man im Mittelalter gegen geltendes Recht verstoßen hatte und als Strafe ein Ohr eingeritzt wurde. Die Narbe war für immer zu sehen. Man war als Schlitzohr für immer und für jeden sofort erkennbar.

Alles in Butter

…war der Zustand, wenn teure Gläser z.B. aus Venetien heil im Empfangsland angekommen waren. Mangels heute üblicher Verpackungen wurde die Ware damals in heiße, flüssige Butter eingelegt. Die Butter erkaltete und ermöglichte den Transport. War die Glasware ohne Schäden beim Empfänger angekommen, war alles in Butter.

Das Heft des Handelns…

…hatte derjenige in der Hand, der ein Schwert in den Händen hielt. Der Griff eines Schwertes wurde/wird als Heft bezeichnet.


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