Ich habe mir die gestrige Sendung in der ARD unter zunehmendem Protest angeschaut. Ich halte es für richtig, dass Zuschauer die Antworten von befragten Politikern durch einen Applaus gutheißen oder es unterlassen. Noch besser wäre es, wenn man auch einmal vereinzelten Applaus hören würde, während die große Mehrheit ihren Applaus unterlässt. Was aber gestern Abend geschah, war ein absolutes Novum. Das Publikum applaudierte bereits bei einer kritischen Frage seitens Caren Miosgas und wartete die Antwort gar nicht ab. Ich meine, das noch nie erlebt zu haben und wiederhole meine Forderung, Zuschauer aus solchen Sendungen zu verbannen. Die Voreingenommenheit ist nicht normal. Außerdem kostet es Sendezeit, wenn Fragesteller oder Befragter beim Versuch zu sprechen zunächst warten muss, bis der Applaus abgeebbt ist.
Moritz Schularick (Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft) war die zweite große Enttäuschung. Besser gesagt: Die Enttäuschung schlug in eine maximale Empörung um. Man muss sich seine Einlassungen zum Thema Reformierung der Schuldenbremse auf der Zunge zergehen lassen: Weil Schularick nach der nächsten Bundestagswahl im neuen Bundestag keine 2/3-Mehrheit für eine entsprechende Grundgesetzänderung mehr sieht, solle doch diese Grundgesetzänderung bitte einfach noch in dieser Legislaturperiode erfolgen.
Einfach mal tief durchatmen und überlegen, was er uns damit gesagt hat.
Er möchte die zu erwartenden neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag einfach ignorieren, in dem er fordert, die Gesetze und Grundgesetzänderungen jetzt noch schnell passend zu gestalten. Man kann den Wählerwillen nicht drastischer missachten. Die Vorstellung, dass eine Grundgesetzänderung im neuen Bundestag auf Basis des Wählerwillens nicht mehr möglich sein könnte, verursacht bei ihm scheinbar schlaflose Nächte, während ich in dem Fall von gelebter Demokratie sprechen würde.
Und so war Christian Lindner in dieser Sendung komplett auf sich allein gestellt. Angesichts dieser zahlenmäßigen Gegnerschaft schlug er sich bestens. Mit einer ganz einfachen Frage führte er Herrn Schularick vor. Er sprach ihn auf die fiskalischen Grundregeln der EU an. Herr Schularick sprang sofort über das Stöckchen und meinte, dass man sie ändern müsste. Das genau wollte Christian Lindner hören und malte das realistische Szenario von einem dann folgenden völligen Zusammenbruch jeglicher Schuldenbegrenzung an die Wand. Und ich sehe das auch so.
Deutschland propagiert stets seine Vorreiterrolle in der Welt in allen Belangen. Ausgerechnet bei den Finanzen will man nun die Pfade der Tugend verlassen und in alter Sozi-Manier einfach immer weiter Schulden machen, als gebe es kein morgen.
D-Day als Stein des Anstoßes
Ich verstehe die Aufregung nicht. Das „D“ steht für Decision. D-Day bedeutet somit übersetzt: Tag der Entscheidung. Ich habe keine Ahnung, was Caren Miosga damit bezweckte, gefühlte zwanzig Minuten auf diesem geleakten Dokument herumzureiten. Natürlich musste sich die FDP auf den finalen Tag vorbereiten. Wo ist die Nachricht?
Lindner konterte mit der Kritik an Miosga, die mit dem Noch-Kanzler letzte Woche nicht so hart ins Gericht gegangen war. Sie hätte von Scholz fordern können, doch bitte alle drei vorbereiteten Reden zu veröffentlichen. Das alles hielt sie jedoch für eine alte Leier. Dabei ist das doch erst eine Woche her.
Es ist schlimm, dass gefühlt fast alle deutschen Institute bei der Verschuldungsbremse ins gleiche Horn blasen. Dabei ist eine „Reformierung“ der Schuldenbremse nichts weiter als ein elegant ausgestellter Freifahrtschein für die nächsten Regierungen – auf Kosten der nächsten und übernächsten Generation.
Bezüglich der Institute können wir die Reaktionen gut bewerten, denn wir wissen ja: Dessen Brot ich ess‘, dessen Lied ich sing‘.
Zum Thema Finanzen gebe ich noch drei Infos auf den Weg in die Woche:
- Bruttoschuldenstand des Staatssektors in der Europäischen Union (EU) zum Ende des zweiten Quartals 2024: 14,3 Billionen Euro
- Prozentsatz der Verschuldung im Verhältnis des BIP in der EU: 81,5%
- Erlaubte Staatsverschuldung eines Mitgliedstaates: 60%
Noch Fragen, wo sich die Sache hinbewegt?
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