So wie sich in Syrien die Ereignisse in den letzten 48 Stunden überschlagen haben, so überschlagen sich die Meinungsäußerungen deutscher Politiker. Bundeskanzler Scholz bezeichnete den Sturz als gute Nachricht. Meines Erachtens ersetzt ein Übel ein anderes. Muhammad al-Dscholani, Chef der islamistischen HTS-Miliz, scheint im Moment der neue Machthaber zu sein. Schauen wir uns die „gute Nachricht“ einfach ein wenig genauer an.
Ja, Abu Mohammed al-Dscholani, geboren als Ahmed Hussein al-Shar’a gründete die Al-Nusra-Front und kämpfte mit Al-Qaida im Irak. Er stammt aus gutem Haus und steht auf internationalen Fahndungslisten. Im Mai 2013 wurde er vom US-Außenministerium als „Specially Designated Global Terrorist“ eingestuft. Im Mai 2017 setzte das US-Außenministerium eine Belohnung von bis zu 10 Millionen US-Dollar für Informationen aus, die zu seiner Identifizierung oder seinem Aufenthaltsort führen. Mittlerweile gibt er sich gemäßigt, doch heißt das nichts. Viele durch militärische Aktionen ins Amt gekommene Machthaber versprachen am Anfang ihrer Machtübernahme Mäßigung und Gerechtigkeit. Wie oft wurden wir enttäuscht? Zu oft. Fast immer. Eigentlich immer. Zu 100%.
Neuer Machthaber ist früherer Top-Terrorist
Die Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze erklärte, dass heute ein Tag der vorsichtigen Hoffnung auf einen friedlichen Übergang sei, der allen Religionen und Ethnien gleiche Rechte sichere und frei von Rachegedanken sei. Sie müsste es doch eigentlich besser wissen.
Der ‚friedliche Übergang‘ zeigte sich schon in den ersten Videobildern. Dabei meine ich nicht die Oma in Syrien, die vor Freude in Extase geraten ist, was ich mir gestern fünfmal anschauen musste. Ich meine brennende Gebäude, Plünderungen und Machtdemonstrationen von Islamisten. Aus den Ereignissen in Afghanistan müssten wir eigentlich wissen, wie ein Land zu Grunde geht, wenn Islamisten es im Handstreich erobern. Bundeskanzler Scholz ist jedoch eher der Meinung, dass Syrien als freies, gerechtes uns sicheres Land großartige Zeiten bevorstehen könnten.
Ein mittelalterlicher Islamkult steht vor der Tür. Die Sharia könnte ausgerufen, die Burkapflicht eingeführt werden. Deshalb würde ich die Worte des Kanzlers gerne mit „blablabla“ kontern, doch habe ich heute gelernt, dass man dafür zu 150 Tagessätzen á 53 Euro = 7.950Euro verurteilt werden kann. Das ist einer 74-jährigen Düsseldorferin passiert, die bei facebook folgenden Post unter ein Statement unseres Wirtschaftsministers zur Fachkräftezuwanderung setzte:
„Blablabla. Wir brauchen Fachkräfte und keine Asylanten, die sich hier nur ein schönes Leben machen wollen, ohne unsere Werte und Kultur zu respektieren. Schickt die, die hier sind, mal zum Arbeiten. Wir sind nicht auf Faulenzer und Schmarotzer angewiesen und schon gar nicht auf Messerkünstler und Vergewaltiger.“
Die Staatsanwälten führte bei der Verlesung des Anklagesatzes aus, dass die Rentnerin mit ihrem Facebook-Kommentar „in einer Art, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass aufgestachelt hätte“. Ihre „massive Politikkritik“ müsse jedoch „strafschärfend“ berücksichtigt werden.
Ich dachte, dass in unserem Land Kritik an der Politik durch das Grundgesetz geschützt wird, Kritik geradezu erwünscht ist. Aber: Fehlanzeige.
Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Hass und Hetze
Der Richter war der Meinung, dass es Volksverhetzung im strafrechtlichen Sinne sei, wenn Teile der Bevölkerung so angegangen werden, dass zum Hass aufgerufen wird und stellte damit offensichtlich auf den letzten der drei Sätze ab. Der Kommentar der Rentnerin würde „zum Hass anstacheln“. Und weil die Rentnerin 2022 schon einmal einen Strafbefehl (3.900,00 Euro) bekommen hatte, könne es keine Straffreiheit geben. Der Richter sprach von einem Spannungsfeld zwischen legitimer Meinungsäußerung und strafbarer Volksverhetzung. Ich glaube, ich brauche ein Tool, welches meine Homepage nach möglichem Hass und möglicher Hetze durchsucht. Scheinbar ist die Ausübung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit zu einem schmalen Grat geworden. Wie hätte ich diesen Post formuliert, um der strengen Analyse eines Staatsanwaltes und eines Richters standzuhalten? Vielleicht so:
„Wir brauchen mehr Fach- und Arbeitskräfte und weniger Asylanten, die unser Sozialsystem belasten und von denen einige unsere Werte und unsere Kultur nicht respektieren. Das Bürgergeld in der jetzigen Weise muss abgeschafft werden, damit die Anreize zu arbeiten verstärkt werden. Nichtstun im großen Stil kann sich unser Land nicht leisten. Straftäter hingegen verwirken ihr Bleiberecht mit dem Tag ihrer Verurteilung und sind nach Verbüßung der Strafe sofort abzuschieben.“
Es wird immer schwieriger zu bloggen, wenn man jeden Satz aus der Brille eines Juristen betrachten muss. Der Spaß bekommt zwangsläufig ein Loch.
Bloggen wird immer schwieriger.
Zurück zu Syrien: Scholz will die nächste syrische Regierung an westlichen Werten messen, um das Video zusammenzufassen. Demnach müsste es aber zunächst eine Wahl geben, damit es überhaupt eine legitime Regierung geben kann. Und dann fangen wir an zu messen und erhalten Messwerte, mit denen wir nicht zufrieden sind. Und was dann? Bis dahin haben wir Scholz als Bundeskanzler hoffentlich abgewählt. Er kann dann seine Messungen als Privatperson fortführen.
Außenministerin Baerbock sieht es um Längen realistischer als Scholz: Das Land dürfe jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen – egal in welchem Gewand. Sie ruft die Konfliktparteien daher dazu auf, ihrer Verantwortung für alle Syrerinnen und Syrer gerecht zu werden.
Baerbock klingt realistischer als Scholz
Ich bin mir sicher, dass ihr Aufruf ungehört verhallen wird. Wann hätten Islamisten das letzte Mal nach dem Ableben von Wischnewski und Genscher auf mahnende Worte von deutschen Außenpolitikern bzw. Außenpolitikerinnen gehört? Islamisten geben Frauen nicht einmal die Hand, geschweige denn hören sie auf sie.
Hoffnungen, dass Syrer, die wegen des Krieges in Syrien in Deutschland leben, in hellen Scharen unser Land verlassen, darf ich eine Absage erteilen. Das wird nicht geschehen. Ich sehe eher neue Fluchtbewegungen von Syrien nach Deutschland. Die ganzen an die syrischen Migranten gerichteten „Und Tschüs“-Kommentare in den sozialen Medien sind reiner Sarkasmus. Sie wirken süffisant. Das kann man sich sparen, nachdem die neuen Herrscher gerade einmal zehn Stunden in Damaskus sind.
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